BGH stärkt Mieterrechte bei Eigenbedarfskündigung – neue Maßstäbe für Härtefälle wegen Krankheit
Der Fall: Kündigung wegen Eigenbedarfs trotz schwerer Erkrankung
Ein seit 1982 in Berlin wohnender Mieter sollte seine Wohnung wegen Eigenbedarfs räumen. Der betagte Mieter, Jahrgang 1939, machte geltend, ein Umzug würde aufgrund seiner gesundheitlichen Situation – unter anderem einer Herzerkrankung und einer schweren depressiven Episode – eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben darstellen. Sowohl das Amtsgericht als auch das Landgericht Berlin II wiesen seinen Härteeinwand zurück. Das Berufungsgericht hielt die psychische Belastung für zumutbar und sah keine ausreichenden medizinischen Gründe für einen Fortsetzungsanspruch.
BGH hebt Urteil auf: Verletzung des rechtlichen Gehörs
Der VIII. Zivilsenat des BGH hob das Urteil auf und verwies die Sache an das Landgericht zurück. Die Karlsruher Richter sahen eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Das Landgericht habe sich auf ein unvollständiges, widersprüchliches und teilweise fehlerhaftes Sachverständigengutachten gestützt, ohne die Widersprüche aufzuklären oder ein weiteres Gutachten einzuholen. Ein Gericht dürfe medizinische Fragen nur dann selbst bewerten, wenn es über besondere eigene Sachkunde verfüge – dies müsse ausdrücklich dargelegt werden.
Härtefallprüfung nach § 574 BGB: Strengere Anforderungen für Gerichte
Nach § 574 Abs. 1 BGB kann ein Mieter der Kündigung widersprechen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für ihn oder seine Familie eine unzumutbare Härte bedeutet. Der BGH stellt klar: Liegt eine ernsthafte Gesundheitsgefahr vor, müssen Gerichte den Sachverhalt besonders gründlich aufklären. Dazu gehört die Einholung fachärztlicher oder psychologischer Gutachten, die Art, Ausmaß und Wahrscheinlichkeit der drohenden Gesundheitsverschlechterung nachvollziehbar bewerten. Nur so ist eine sachgerechte Abwägung zwischen den Interessen des Vermieters und des Mieters möglich.
Konsequenzen für Praxis und Mieter
Das Urteil stärkt die Rechte kranker oder älterer Mieter erheblich. Wer aus gesundheitlichen Gründen nicht umziehen kann, sollte den Härteeinwand frühzeitig erheben und durch ärztliche Atteste belegen. Vermieter müssen damit rechnen, dass Gerichte künftig strenger prüfen, ob eine Räumung unzumutbare Folgen hätte. Fehlen schlüssige Gutachten oder bleiben Widersprüche ungeklärt, kann ein Urteil aufgehoben werden.
Fazit
Mit seinem Beschluss vom 26. August 2025 (VIII ZR 262/24, BeckRS 2025, 25931) hat der BGH die Anforderungen an die gerichtliche Prüfung von Härtefällen bei Eigenbedarfskündigungen verschärft. Gerichte müssen medizinische Sachverhalte vollständig aufklären und dürfen eigene Schlussfolgerungen nur ziehen, wenn sie über besondere Sachkunde verfügen. Für Mieter bedeutet das: Der Schutz vor Räumung aus gesundheitlichen Gründen wird gestärkt.